«ICH KANN FAST NIRGENDWO HIN, OHNE ERKANNT ZU WERDEN»

Seit Anfang 2023 ist Nora Häuptle Trainerin des ghanaischen Frauen-Nationalteams und hat in dieser Zeit viel erreicht. Die gebürtige Thurgauerin über die Auswirkungen des Erfolgs, einen Job im Männerfussball und die Stelle bei der Schweizer Frauen-Nati.

Der ghanaische Fussball steckt in der Krise. Am Afrika-Cup schied das Nationalteam bereits in der Vorrunde aus. Indirekte Folge davon waren die Proteste Mitte Februar, bei denen mehrere Tausend Menschen in der Hauptstadt Accra auf die Strasse gingen, um gegen den Fussballverband zu demonstrieren. Der derzeit einzige leuchtende Stern an Ghanas Fussballhimmel? Das Frauen-Nationalteam, angeführt von der gebürtigen Thurgauerin Nora Häuptle (40). Seit 14 Monaten pendelt sie zwischen Bern, Accra und Dutzenden anderen Städten hin und her.

Blick trifft sie einen Tag nach der Rückkehr von einem Olympia-Qualifikationsspiel in Sambia in einem italienischen Restaurant in Accras Stadtteil Osu. Gnocchi gibts. Eine willkommene Abwechslung: «Ich esse nach der Ankunft hier jeweils zwei Wochen Reis, weil ich keine Magenverstimmung riskieren will. In der kurzen Zeit, in der wir zusammen sind, müssen wir liefern.»

Leben im Hier und Jetzt

Stichwort liefern: Das hat Häuptle in den vergangenen 14 Monaten getan. Seit der Amtsübernahme im Januar 2023 gewannen Häuptles Black Queens, wie das ghanaische Frauennationalteam genannt wird, zehn von 13 Spielen, schossen 41 Tore und mussten nur fünf Gegentreffer hinnehmen. Man qualifizierte sich zum ersten Mal seit sechs Jahren für den Afrika-Cup, verpasste ein Weiterkommen gegen das favorisierte Sambia in der Olympia-Quali nur knapp. Fans und Medien sind begeistert von der Arbeit der studierten Sportwissenschaftlerin. «Ich kann fast nirgendwo mehr hin, ohne erkannt zu werden», beschreibt Häuptle die Auswirkungen des Erfolgs. Dieser hat auch Befürchtungen ausgelöst, dass sie das Land wegen besseren Angeboten bald wieder verlässt.

Eine Sorge, die Häuptle zwar versteht, derzeit aber nicht kommentieren will. «Ich bin schon auch jemand, der grundsätzlich loyal ist. Der Verbandspräsident hat mir eine Chance gegeben und ich will so was zurückzahlen. Aber im Fussball weisst du nie.» Dazu komme, dass sie wegen ihres Alters keinen Stress hat. «Ich habe gelernt, mehr im Hier und Jetzt zu sein, sonst verlierst du dich irgendwann, wenn du nur an deine Zukunft denkst.»

«Vielleicht wird die Nati irgendwann ein Thema»

Einige Journalisten befürchteten zeitweise gar, dass der SFV Häuptle für die Stelle als Nati-Trainerin der Frauen abwerben könne. Davon will sie derzeit aber nichts wissen. Der Anreiz, mit Ghana grosse Turniere wie den Afrika-Cup, Olympia und die U20-WM zu bestreiten, sei derzeit zu gross und die eigene Entwicklung stehe im Vordergrund. Und doch schliesst sie eine Rückkehr zum SFV, wo sie einst die U19-Frauen-Nati trainierte, nicht ganz aus. «Klar habe ich das alles aus der Ferne angeschaut und klar hat man da auch ab und zu Kontakt. Vielleicht wird die Nati irgendwann ein Thema.»

Zeitweise machten Gerüchte die Runde, dass Häuptle innerhalb des Verbandes wechseln und die derzeit offiziell noch nicht besetzte Rolle bei den Black Stars übernehmen solle. «Ich nehme die ganze Geschichte mit einem Schmunzeln zur Kenntnis», winkt sie ab – und würde einen Job im Männerfussball in Zukunft aber nicht grundsätzlich ausschliessen.

Derzeit will sich Häuptle aber auf die Black Queens konzentrieren. Und mit diesen hat sie in diesem Jahr noch Grosses vor. Theoretisch. Denn derzeit streiten sich der afrikanische Kontinentalverband, die Fifa und die Teilnehmernationen um den genauen Zeitpunkt der Ausführung des Afrika-Cups. Ursprünglich war das Turnier für den Sommer geplant, mittlerweile scheint dies wegen Olympia und der Kurzfristigkeit aber quasi unmöglich. Für Häuptle zermürbend: «Der Cup wäre für uns ein guter Prüfstein, ohne ihn müssten wir ein weiteres Jahr überleben.»

Trainerin, Vermittlerin, Familienmensch

Nun fliegt Häuptle vorerst zurück in die Schweiz. Von ihrer Wahlheimat Bern aus arbeitet sie mehr als die Hälfte des Jahres – und findet dort auch Zeit zum Abschalten. Beim Skifahren oder Wandern, beim Zeitverbringen mit ihren Liebsten. Denn die Zeit in Ghana ist intensiv und anstrengend. Wegen der äusseren Bedingungen, aber auch, weil Häuptle im Land am Golf von Guinea mehr als nur Trainerin ist. So arbeitet sie an einer langfristigen Strategie – für junge Spielerinnen, aber auch für künftige Trainerinnen. Oder sie ist Vermittlerin bei Gelddiskussionen zwischen Spielerinnen, Verband und Ministerium. So wie zuletzt, als das Sportministerium für die erfolgreiche Afrika-Cup-Quali jeder Spielerin eines Bonus versprach, diesen aber wochenlang nicht zahlte.

Wann genau Häuptle zurück nach Accra fliegt, ist noch unklar. Ihr selbst gefällt es in Westafrika – auch, weil sie trotz der Entfernung mehr Zeit mit ihren Liebsten hat, als wenn sie in Europa einen Topklub trainieren würde. «Meine Eltern leben auch nicht mehr ewig und ich will nicht das Gotti sein, das nur Geschenke macht, ich will den Göttibub auch aufwachsen sehen. Darum ist es mir sehr wichtig, diese Balance mit der Familie zu haben.»

©Blick.ch / N.Horni, 12.03.2024