“DIE THURGAUERIN NORA HÄUPTLE IST IN GHANA EINE GEFEIERTE EXOTIN – UND FÜHRT EIN LEBEN ZWISCHEN DEN EXTREMEN”

Die 40-jährige Nora Häuptle hat das ghanaische Frauen-Nationalteam an den Afrika-Cup geführt. Doch nun ist Geduld gefragt, weil noch nicht klar ist, wann die Endrunde ausgetragen wird. Die Thurgauerin sagt: «Manchmal herrscht das pure Chaos.» Trotzdem hat sie das Land und die Menschen in ihr Herz geschlossen.

Nora Häuptle, hier noch als Trainerin beim damaligen Frauen-Bundesligateam des SC Sand, hat die Komfortzone verlassen und trainiert nun in Ghana. «Ich lerne gerade sehr viel über mich selbst.»
Nora Häuptle, hier noch als Trainerin beim damaligen Frauen-Bundesligateam des SC Sand, hat die Komfortzone verlassen und trainiert nun in Ghana. «Ich lerne gerade sehr viel über mich selbst.» Bild: Sven Leifer/www.imago-images.de

Es herrscht Wiedersehensfreude. Nach dem «Sportdialog» im Rahmen der Rheintalmesse Rhema in Altstätten ist Nora Häuptle eine gefragte Frau. Eine herzliche Umarmung hier, ein freudiges Hallo da. Freunde und Verwandte sind gekommen. Man sieht sich schliesslich nicht mehr allzu oft. Und die 40-jährige Fussballtrainerin aus Horn hat viel zu erzählen.

Wo und wann findet der Afrika-Cup statt?

Seit 16 Monaten ist Häuptle Trainerin des ghanaischen Frauen-Nationalteams. Unter der Thurgauerin haben sich die Westafrikanerinnen zum ersten Mal seit sechs Jahren für den Afri­ka-Cup qualifiziert.

Obwohl sie im Februar die Olympiateilnahme verpassten, überstrahlen in Ghana die Frauen derzeit die Männer, die an der Afrika-Meisterschaft Anfang Jahr in der Elfen­beinküste unter Getöse nach der Vorrunde ausschieden.

Der Wermutstropfen: Noch ist nicht klar, wann die Endrunde der Frauen stattfinden wird. Es geht dabei vor allem um Terminkollisionen wegen der Sommerspiele in Paris. Einziger Fixpunkt ist Marokko als Veranstaltungsland. Häuptle hofft, dass das Turnier noch in diesem Jahr ausgetragen werden kann.

Die Besten spielen in Europa

Für Zusammenzüge und Spiele hält sich die Hornerin jeweils die Hälfte des Jahres in Ghana auf, kehrt dann aber wieder nach Bern zurück. Von ihrer Wahlheimat aus besucht sie ihre Nationalspielerinnen, beobachtet sie während Partien und bespricht mit ihnen ihre Pläne. Die besten Ghanaerinnen spielen in den grossen Ligen wie England, Spanien oder Frankreich.

Die Arbeit von Häuptle findet in Ghana grosse Beachtung. Unterdessen wird die Exotin aus der Schweiz auf den Strassen der Hauptstadt Accra immer wieder erkannt.

Fussball ist in Ghana Nationalsport, der die ganze Klaviatur der Emotionen bedient. «Ich musste lernen, ruhiger zu werden, weil das Pendel um mich herum so schnell und heftig ausschlägt – entweder gegen oben oder gegen unten. Manchmal herrscht das pure Chaos.»

Nora Häuptle während eines Trainings mit den ghanaischen Nationalspielerinnen.
Nora Häuptle während eines Trainings mit den ghanaischen Nationalspielerinnen. zvg/GFB

Während der erfolgreichen Qualifikationskampagne für den Afrika-Cup bereiteten Tausende Menschen dem Team farbenfrohe und stimmgewaltige Empfänge.

Aber Häuptle hat auch mitbekommen, was passieren kann, wenn es einer ghanaischen Mannschaft nicht gut läuft: Nach dem frühen Out der Männer am Afrika-Cup – St.Gallens Torhüter Lawrence Ati Zigi war zu keinem Einsatz gekommen – protestierten Zehntausende in den Strassen von Accra gegen den Fussballverband. «So etwas ist in der Schweiz unvorstellbar», sagt Häuptle.

Jeweils zwischen 5000 und 10’000 Fans besuchen die Heimspiele der Frauen. Den «Black Queens» sind die Herzen seit der Amtsübernahme der Thurgauerin zugeflogen. «Weil die Menschen sehen, dass unser Team kämpft, bis es nicht mehr laufen kann.»

Hegten die Ghanaerinnen und Ghanaer jedoch bei einem Profi, der in einer europäischen Topliga viel Geld verdient, den Verdacht, nicht alles für das Land zu geben, habe dieser in der Heimat einen schweren Stand.

Von Analphabetinnen und Studentinnen

Häuptle sagt, sie sei gerade dabei, viel über sich zu lernen. «Dieses Engagement ist eine Lebensschule.» Zu Beginn sei sie oft angestanden. «Aber ich habe gelernt: Es gibt kein richtig oder falsch. Sondern es ist anders.»

So trainiert das Nationalteam morgens nur zwischen
6 und 10 Uhr, weil der Kunstrasen nachher zu heiss wird. Nachmittags sind Einheiten bloss von 16 bis 18 Uhr möglich: Die Stromkosten für eine Flutlichtanlage sind zu teuer.

Die ganze Bandbreite der Anforderungen an Häuptle zeigt sich auch in der Tatsache, dass das Team Spielerinnen unterschiedlichster Herkunft vereint. Die einen studieren, andere können hingegen nicht lesen und schreiben.

Die Menschen leben im Hier und Jetzt

Häuptle schätzt, dass die Menschen im Hier und Jetzt ­leben, sich keine Gedanken darüber machen, was morgen ist. «Denn es gibt so viele Unwägbarkeiten, dass es sich nicht lohnt, zu sehr darüber nachzudenken, was der nächste Tag bringen könnte.»

Auch wenn Ghana über eine aufstrebende Wirtschaft verfügt – bedeutend ist das Land vor allem aufgrund seiner vielfältigen Rohstoffe –, sieht sich die Schweizerin oft mit Armut konfrontiert. «Aber es ist bewundernswert, wie die Menschen Stolz und Würde bewahren, auch wenn sie aus einfachen Verhältnissen stammen.»

Vermittlerin bei Gelddiskussionen

Im christlich geprägten Ghana, wo rund 34 Millionen Menschen leben, besteht seit dem Jahr 1992 eine gesetzlich garantierte Gleichstellung der Geschlechter.

Nora Häuptle während eines Besuchs in der Heimat.
Nora Häuptle während eines Besuchs in der Heimat. Bild: Claudio De Capitani

Dennoch sind Mädchen und Frauen nach wie vor stärker von Armut, Analphabetismus und Gewalt betroffen. Allerdings hat Häuptle auch festgestellt, dass es oftmals die Frauen und Mütter sind, die in den Familien das Sagen haben.

Häuptle pendelt zwischen den Welten. Sie hat Ghana in ihr Herz geschlossen, doch die Arbeit ist intensiv. Die Hornerin befasst sich mit einer langfristigen Strategie für junge Akteurinnen und Trainerinnen.

Sie kümmert sich auf der ganzen Welt um Spielerinnen mit ghanaischen Wurzeln, die allenfalls für das Nationalteam infrage kommen. Oder sie vermittelt bei Gelddiskussionen zwischen Fussballerinnen, Verband und Sportministerium.

Nach den turbulenten Tagen reist Häuptle dann zurück in die beschauliche Heimat, wo die ­Eltern und ihre Familie leben. Einmal im Jahr trifft sich die Thurgauerin mit Freundinnen in St.Gallen zu einem Fondue. Die Trainerin hat dann immer viel zu erzählen.

Zur Person

Nora Häuptle ist seit Anfang 2023 die Trainerin von Ghanas Fussball-Nationalteam der Frauen. Die 40-jährige Thurgauerin war zuvor bei den Westafrikanerinnen bereits als technische Beraterin des U20-Teams tätig. Vor zweieinhalb Jahren amtete die Hornerin als israelische Nationaltrainerin der Frauen und gleichzeitig als Technische Direktorin. Nach etwas mehr als vier Monaten beendete sie das Mandat. Zuvor war Häuptle die erste Schweizerin, die in der Frauenbundesliga mit dem SC Sand ein Team trainierte. Die in Bern wohnhafte Sportwissenschafterin begann beim FC Thun als Juniorentrainerin, arbeitete später als Konditionstrainerin für die Tennisspielerin Romina Oprandi und führte danach während fünf Jahren das Schweizer U19-Frauennationalteam mit dem Höhepunkt EM-Halbfinal. Als Spielerin lancierte Häuptle beim FC Staad ihre Karriere, die sie bis ins Schweizer Nationalteam führte. Im Sommer 2018 schrieb der «Tages-Anzeiger», Häuptle sei eines der grössten Schweizer Trainertalente – geschlechterübergreifend. (red)

02.05.2004/ tagblatt.ch Patricica Loher