„FRAUENQUOTEN KÖNNEN EIN EIGENTOR SEIN“

Nora Häuptle war bis vor Kurzem die einzige Trainerin in der Bundesliga der Frauen. Ein Gespräch über die Hindernisse für Frauen im Fußball.

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Frau Häuptle, vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Sie nach einem Jahr beim SC Sand aufhören. Wie kam es dazu?
Das kam sehr überraschend für mich. Letzten Sommer haben wir entschieden, dass wir gemeinsam den Weg begehen. Uns allen war bewusst, dass es anspruchsvoll wird mit den vorhandenen Ressourcen das Bundesliga-Niveau zu halten. Es braucht ein gewisses Spielermaterial, aber auch von der Infrastruktur war wenig vorhanden. Das haben wir in den letzten Monaten stetig entwickelt, indem wir zum Beispiel Assistenztrainer und Physiotherapeut professionell angestellt haben, die zuvor Amateure waren. Das war viel Arbeit. Auch viele Spielerinnen, die aus der Zweiten Liga kamen, mussten sich zunächst an die Bundesliga gewöhnen. Ich war zuversichtlich, dass wir das hinkriegen. Da kam die Freistellung sehr überraschend, besonders zu dem Zeitpunkt. Ich war ziemlich enttäuscht über diese Entscheidung.

Auch die Sportfreunde Lotte haben sich im vergangenen Jahr von Imke Wübbenhorst getrennt. Es sieht so aus, als würden die ohnehin wenigen Frauen in den Fußballligen noch weniger werden…
Ja, das fällt schon ins Gewicht. Ich glaube, dass der Trainer oder die Trainerin grundsätzlich das schwächste Glied ist, ob bei den Männern oder Frauen. Man kann nicht ein ganzes Team entlassen, und der Vorstand beziehungsweise Präsident entlässt sich ja nicht selbst. Da ist es die einfachste und billigste Handlung den Trainer zu wechseln.

Sie haben als Spielerin in der Schweiz und in den Niederlanden gespielt. Haben Sie über die Jahre Veränderungen im Führungsstil der Trainer*innen erlebt?
Im Führungsstil auf jeden Fall. Als ich jünger war, war es sehr hierarchisch und patriarchal geprägt. Da wurde viel über Druck geregelt und das hat sich sehr entwickelt. Ich denke, die Trainerausbildung hat dabei geholfen. Es werden pädagogisch andere Schwerpunkte gewählt im Umgang und im Dialog. Früher wurde oft nicht miteinander gesprochen, dabei ist der Dialog ein sehr wichtiges Element, um Menschen abzuholen und zu verstehen. Da hat sich wahnsinnig viel entwickelt.

Woher kam Ihre Entscheidung, selbst Trainerin zu werden?
Ich habe nebenbei einen Master in Sportwissenschaft und das Lehrpatent für die Gymnasialstufe gemacht. Dadurch hatte ich bereits etwas pädagogischen Background. Nachdem ich mich schwer verletzt hatte, wurde ich von der Herren-Nachwuchsmannschaft gebeten, dort anzufangen. Später habe ich dann eine Stelle als Profitrainerin bei den U-15-Jungs angeboten bekommen.Mehr über guten Sport aus lokaler Perspektive lesen! In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken finden Sie alles zu lokalem Sport, lokaler Politik und Kultur. Hier kostenlos bestellen.

Haben Sie auch mit dem Gedanken gespielt, als Lehrerin zu arbeiten?
Ja, ich komme aus einem akademischen Haushalt, und da hieß es oft, dass ich eine Ausbildung machen muss. Ich habe Sport im Hauptfach studiert und Philosophie und Germanistik im Nebenfach. Lange habe ich mein Leben mit Fußball finanziert, aber ich bin froh diese Ausbildung zu haben. So habe ich immer ein Plan B, denn wie man jetzt gesehen hat, kann es leider manchmal sehr schnell gehen.

An welche Momente Ihrer Trainerin-Karriere denken Sie besonders gern zurück?
Die Heim-EM mit der U19 war schon sehr besonders, das hat sich tief eingebrannt. Aber es sind auch die kleinen Momente: Wenn man auf dem Platz merkt, dass bei einer Spielerin der nächste Schritt kommt; wenn man das nächste Niveau erreicht; ein Gameplan perfekt aufgeht; oder wenn jemand nach Monaten endlich von einer Verletzungspause zurückkommt. Die Menschen machen das Besondere aus.

Man müsste die Ausbildung für Frauen fördern und damit die Schleusen öffnen

Nora Häuptle

Sie waren die einzige Trainerin in der Frauen-Bundesliga. Woran liegt das?
Das ist in meinen Augen systemisch bedingt. Wenn man eine Spitze kreieren will, muss man zuerst eine gewisse Breite herstellen. Man müsste mal beim DFB nachfragen, wie das Verhältnis von Trainerlizenzen für Frauen und für Männer ist. Ich bin nämlich überzeugt, dass der prozentuale Anteil nicht stimmt. Man müsste die Ausbildung für Frauen fördern und damit die Schleusen öffnen. Viele Hürden und Eintrittskriterien müssten abgebaut werden und über Mentoring-Programme könnte das Selbstbewusstsein von Frauen gestärkt werden. Je größer die Breite ist, desto mehr Frauen finden sich, die den Weg in die Spitze gehen möchten.

Der DFB ist nach wie vor männlich dominiert. Kann sich überhaupt etwas an der Situation von Frauen im Profifußball ändern, solange diese Verbandsstrukturen nicht aufgebrochen werden?
Ich denke, es ist wichtig, dass es Frauen gibt, die diese Stellen einerseits besetzen wollen und auch die Befähigung dazu haben, aber andererseits auch in diese Positionen gesetzt werden. Ich bin nicht für Quoten, das finde ich immer ein bisschen schwierig, aber ich bin schon der Meinung, dass der Verband da gewisse Schritte ergreifen sollte.

Aber könnte eine Quote nicht vielen Frauen zumindest den Zugang erleichtern?
Wenn man Frauen in diese Position bringt und sie dann nicht dafür befähigt sind, ist es eher ein Eigentor. Quoten können nicht die einzige Lösung sein. Es muss in die Ausbildungen in der Breite investiert werden. Ich erlebe oft, dass Stellen im Frauenfußball gar nicht attraktiv bezahlt werden, und viele fähige Frauen, die ich kenne, finden es dadurch reizvoller, stattdessen in die Wirtschaft zu gehen, wo sie sich auch weiterentwickeln können. Solche Entwicklungsmöglichkeiten gibt es per se gar nicht im Frauenfußball. Der Karriereweg ist deutlich risikobehafteter.

Würden Sie persönlich gerne auch mal eine Männermannschaft trainieren?
Ich bin grundsätzlich sehr offen. Bei den Junioren hat es total Spaß gemacht. Es braucht einfach ein kohärentes Umfeld. Wenn man ein gutes Team hat, kann es sehr wohl funktionieren. Fachlich bin ich genauso gut ausgebildet wie meine Trainerkollegen in der Männer-Bundesliga, daran würde es nicht scheitern.

Wie hat sich die Situation von Frauen im Profifußball in den letzten Jahren verändert?
Das System wird immer professioneller und bekommt langsam eine gewisse Medienaufmerksamkeit, die sehr hilft. Denn am Ende wird der Fußball stark über TV-Gelder gesteuert. Wenn der Frauenfußball sichtbar wird und Gelder generieren kann, dann hilft das dem gesamten System. Erst durch die Vermarktung kann das System wachsen. Ich beobachte außerdem seit einigen Jahren einen Kulturwandel in der Diskussion um die Rolle der Frau, das hat auch Auswirkungen auf den Frauensport und die Werte dort. Es sind aber nach wie vor einige Schritte zu tun.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde Heiko Vogel für seine sexistische Äußerung kritisiert. Solche Vorfälle gibt es immer wieder. Wie geht man damit um?
Wenn es auf dem Platz emotional und beleidigend wird, dann werden gewisse Minderheiten angegriffen. Dazu gehören zum Beispiel Frauen, aber auch Spieler anderer Hautfarben und Kulturen. In meinem konkreten Umfeld versuche ich Dinge anzusprechen und die verletzende Seite aufzuzeigen. Wenn man nichts sagt, akzeptiert man es stillschweigend. Oft ist dem Gegenüber gar nicht bewusst, was seine Äußerung auslöst. Es sollte die Chance haben, den Fehler einzusehen und sich zu entschuldigen. Erst dann können wir eine bessere Gesellschaft kreieren.

Sollte auf Bundestrainer Jogi Löw nicht mal eine Frau folgen?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass eine Frau das Anforderungsprofil vom DFB erfüllen könnte. Bei einer Stellenbesetzung wird aber immer der geeignetste Kandidat oder die geeignetste Kandidatin gesucht – und das ist wohl derzeit ein Mann, weil keine Frau die große Erfahrung im Männer-Fußball mitbringt, die sicherlich Bedingung für den Job ist. Das heißt aber nicht, dass eine Frau die Stelle nicht besetzen könnte.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Ich bin jetzt erstmal zuhause in Bern und erhole mich gut. Es ist ein sehr druckvoller Job, und ich merke, dass es mir guttut die Batterien aufzuladen. Es kommen vielfältige Anfragen rein, von Nationalteams aus aller Welt und auch von einer Herrenmannschaft in Deutschland. Ich muss mal schauen, wo mich mein Bauchgefühl hinzieht, aber ich denke, dass ich im Sommer den nächsten Schritt gehen werde.

© tagesspiegel.de (ih) / 18.05.2021