“ALS NATIONALTRAINERIN IN GHANA – DAS GROSSE ABENTEUER DER SRF-EXPERTIN”
Sie war Schweizer Nationalspielerin und prominent im TV. Nun lernt die Perfektionistin vor allem ganz viel über sich selbst.
Es kommt vor, dass die ghanaischen Fussballerinnen wegen ihrer Trainerin schmunzeln müssen. Wenn sie singen und tanzen und diese «danebenklatscht», wie sie selbst sagt, aus dem Rhythmus fällt also.
Aber das ist nun einmal Teil dieses Abenteuers, das Nora Häuptle im Januar 2023 wagte. Nationaltrainerin Ghanas zu sein, bedeutet auch, die Komfortzone zu verlassen. Sich nicht immer ganz ernst zu nehmen. Und vor allem: wahnsinnig viel über sich selbst zu lernen.
Zum Beispiel auch solche Dinge: Häuptle sagt von sich selbst, sie sei eine Perfektionistin. Sie sei aber auch emotional und könne impulsiv reagieren. Jetzt merkt sie: «Ich muss die Balance finden, lasse ich die Dinge zu sehr an mich ran, wankt das ganze Schiff.»
Es sind ganz neue Erfahrungen, die Häuptle am Golf von Guinea macht, nicht bloss fussballerische, für die sie ja eigentlich hier ist.
Im Januar 2023 trat die 40-Jährige dieses Amt an, zuvor war sie mit Ghana an der U-20-WM in Costa Rica, als Beraterin. Sie schrieb auf, was sie gut fand und was nicht, eines führte zum anderen, die Verhandlungen begannen. «Es ging dabei nicht ums Finanzielle», sagt Häuptle, vielmehr ging es um Entscheidungskompetenzen.
Häuptle war einst selbst Fussballerin, sie spielte bei YB, Thun und in den Niederlanden bei Twente Enschede. Sie schaffte es auch ins Schweizer Nationalteam. Später trainierte sie unter anderem die U-19 der Schweizer Frauen, ein paar Monate war sie in der Bundesliga und dann auch noch in Israel.
2011 schloss Häuptle ihren Master in Sportwissenschaften ab. Sie arbeitete auch bei Swiss Olympic in verschiedenen Bereichen, war unter anderem Athletiktrainerin. Einem breiten Publikum wurde sie bekannt, weil sie im Schweizer Fernsehen als Expertin auftrat, erst vor allem für das Frauen-Nationalteam, dann auch bei grossen Turnieren der Männer.
«So mache ich es – und nicht anders»
Im Vorfeld ihres Engagements in Ghana half vor allem die Erfahrung in Israel. Tel Aviv sei zwar eine tolle Stadt, aber bewegen liess sich im Frauenfussball nicht viel. Häuptle ging «voll rein und lief gegen eine Wand». Also sagte sie dem Präsidenten des ghanaischen Verbands: «So mache ich es – und nicht anders.» Er sicherte ihr alles zu. Dann tauchte Häuptle ein.
Sie lernte Prampram kennen, das Ausbildungszentrum des Verbandes, wo alle den einen Kunstrasen benutzen wollen und hin und wieder mit Kesseln geduscht werden muss, weil die Wasserpumpen nicht funktionieren. Und sie lernte schnell, dass die Hierarchien im Land nicht gerade flach sind.
Ghana ist seit den späten 50er-Jahren unabhängig. Seit den 90ern gilt es als stabil, im Demokratieindex der britischen Zeitung «The Economist» gehört es seit Jahren zum vorderen Drittel. Auch Häuptle sagt, das Land sei liberal eingestellt, «die Menschen sind den Anliegen der Frauen gegenüber sehr offen». Es gebe auch sehr viele vife und innovative Frauen.
Das ist die eine Seite. Die andere zeigt nach wie vor verbreitete Not. 5 Millionen der 33 Millionen Einwohner leben in extremer Armut.
Häuptle kennt die Geschichten ihrer Spielerinnen. Um zu verstehen, wo sie herkommen, reiste sie auch schon quer durchs Land. In ihrem Team hat sie alles, von der Analphabetin bis zur Hochschulabsolventin. Darum arbeitet sie oft mit Bildern. Wieder so etwas, was sie lernte: sich auf das Wichtigste zu reduzieren, damit das Gelernte auf dem Platz umgesetzt wird.
Mit dem Verbandspräsidenten hat Häuptle einen Deal. Nach jedem Zusammenzug kommt sie mit drei Vorschlägen auf ihn zu, die sie umgesetzt haben will. Da kann es dann auch mal darum gehen, wie viele der zahlreichen Spielerinnen aus dem Ausland eingeflogen werden dürfen. Seit einigen Monaten hat Häuptle einen Schweizer Assistenten, ihm kann sie vertrauen. Und auch einmal etwas rauslassen, wenn sie an ihre Grenzen kommt.
Die «Black Queens» gewinnen wieder
Im Team hat sie einen Captain und drei Vize-Captains bestimmt. Oft bespricht sie sich mit dem Quartett, «sie sind smart und taktisch hervorragend», sagt Häuptle, und sie geben dem Team alles weiter. Englisch mag als Überbleibsel der Kolonialzeit zwar Amtssprache sein, im Land werden aber über 70 andere Sprachen und Dialekte gesprochen.
Sportlich läuft es den Ghanaerinnen. Mit Häuptle haben sie sich erstmals seit 2018 wieder für den Afrika-Cup qualifiziert, das Turnier findet nächstes Jahr in Marokko statt. Über das Team wird in den Medien des Landes intensiv berichtet, seitdem es regelmässig gewinnt. Man kann das auch als ersten Schritt zur Rückkehr alter Stärken sehen. Ghana gewann den Afrika-Cup zwar nie, stand aber dreimal im Final.
Auch an Weltmeisterschaften (1999, 2003 und 2007) war Ghana dabei, die «Black Queens», wie die Spielerinnen genannt werden, waren Stars, noch bevor die Männer erstmals an einer WM teilnahmen. Diese hatten ihre Premiere erst 2006, mit einer goldenen Generation um Michael Essien, Asamoah Gyan und später den Ayew-Brüdern Jordan und André, den Söhnen des legendären Abédi Pelé.
Eine ehemalige Nationalspielerin, die bei den WM-Teilnahmen in den Nullerjahren dabei war, erzählte Häuptle von den damals hohen Prämien für das Team. Auch wenn der finanzielle Anreiz nicht erstrangig ist, Häuptle möchte das Team wieder dorthin bringen, wo es einmal war.
Sie wird auf diesem Weg wohl weiterhin viel lernen, über sich, über Land und Leute. Und auch die eine oder andere Erkenntnis gewinnen. Wie diese: «Nach einem strengen Tag ist auch das Wasser aus einem Kessel angenehm.»
Tagblatt.ch / mr 10.09.2024