“SIE WAR BESSER ALS DER BESTE BUB”

Trainerin Nora Häuptle fand dank einer riesigen Stoffbanane zum Fussball.

Am 1. Dezember startete die Hornerin Nora Häuptle in ihrer neuen Position als Trainerin der israelischen Frauennationalmannschaft. Die 38-Jährige verrät, was in ihrem Koffer nicht fehlen darf, was sie zum tschutten braucht und woran ihre Karriere fast gescheitert wäre.

Die Fussballtrainerin spielt in ihrer Freizeit nicht mehr viel Fussball. Dafür trifft man sie ab und zu im Berner Kino Cinématten an. (© Claudio de Capitani)

Nora Häuptle, Gratulation zur neuen Stelle in Israel. Wissen Sie schon, was auf Sie zukommen wird?

Nora Häuptle: Nein, in Details weiss ich das noch nicht. Ich bin am Mittwoch erst in Tel Aviv angekommen. Bis Ende Februar möchte ich mir Zeit nehmen, um überhaupt einmal alles kennen zu lernen.

Welche Anforderungen haben Sie an sich selbst als Trainerin und technische Direktorin?

In der technischen Direktion sehe ich meine Rolle als jemand, der gute Entscheidungen für alle treffen muss, aber gleichzeitig auch alle zum eigenen Wachstum ermutigt und motiviert. Als Trainerin möchte ich eine gute Basis schaffen, damit das Nationalteam langfristig vorwärtskommt.

Worauf freuen Sie sich am meisten in Israel?

Auf Verschiedenes. Natürlich auf das gute Essen, denn ich esse sehr gerne. Dann auch die Leute. Als ich im Oktober eine Woche vor der Vertragsunterzeichnung in Tel Aviv war, gaben mir alle – egal ob Taxifahrer oder Verbandsmitglieder – das Gefühl, hier willkommen zu sein. Weiter freue ich mich auch auf viel Kultur. Israel ist ein sehr geschichtsträchtiges Land.

Sie begeben sich damit aber auch in ein Land, das sich inmitten politischer Konflikte befindet.

Das ist mir durchaus bewusst. Meine politische Meinung wird in Israel aber privat bleiben – genauso wie ich es übrigens auch in der Schweiz handhabe. In meinem Beruf bin ich mit so vielen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, Hintergründen und verschiedener Herkunft in engem Kontakt, dass mit politischen Äusserungen eher Gräben geschaffen würden. Dabei verbindet uns alle am Ende dasselbe: die Freude am Fussball.

Was durfte in Ihrem Koffer nach Israel definitiv nicht fehlen?

Zurzeit lese ich ein gutes Buch namens «Belonging», bei dem es darum geht, wie man Zugehörigkeit zu einer Gruppe herstellt. Ich denke, dieses Buch wird mir bestimmt helfen mich in Israel im Team, aber auch im Land selbst gut einzufinden. Deshalb habe ich es mitgenommen. Und fehlen darf natürlich auch nicht die Badehose, damit ich mal tauchen gehen kann.

Haben Sie neben Tauchen und Fussball auch noch andere Leidenschaften?

Ich treibe immer noch sehr gerne Sport – nicht mehr Fussball, aber Tennis und Badminton machen mir Spass. Ich gehe auch gerne Segeln. Da ich Sport studiert habe, ist das für mich eine Art Rhythmusgeber und Ausgleich. Ansonsten lese ich viel oder gehe ins Kino in der Cinématte in Bern, wo ich auch weiterhin wohnen werde. In Tel Aviv wird lediglich mein Zweitwohnsitz sein.

Wofür wird es Sie trotzdem weiterhin in die Schweiz ziehen?

Einmal im Monat werde ich sicher zurück kommen, nur schon wegen meiner Beziehung und wegen der Familie. Ich habe zwei Brüder mit kleinen Kindern, von denen ich Gotte bin. Da will ich nicht nur via Bildschirm präsent sein. Beim SRF als Kommentatorin möchte ich ebenfalls aktiv bleiben.

Trainerin, technische Direktorin, SRF-Kommentatorin, Gotte – das klingt anstrengend.

Ich würde es eher anspruchsvoll nennen. Aber klar, ich werde erst noch rausfinden, ob das alles parallel machbar ist.

Wie hat es eigentlich bei Ihnen mit dem Fussball angefangen?

Ich bin mit zwei älteren Brüdern in Horn am Bodensee aufgewachsen. Da wir keinen Fernseher hatten, waren wir immer draussen und haben viel Fussball gespielt. Ich war aber lange in keinem Verein, da Horn gar keinen FC hatte. Dass ich zum Fussball kam, war eher Zufall.

Was für einer?

Als ich etwa neun Jahre alt war, gab es in Steinach eine Kampagne, die hiess «Chiquita-Cup», bei der man eine riesige Chiquita-Stoffbanane gewinnen konnte. Man musste Jonglieren, Distanzschiessen, alles Mögliche. Dort habe ich mit grossem Vorsprung gegenüber dem erstplatzierten Buben gewonnen.

Und dann wurden Sie entdeckt?

Na ja, es hiess dann, ich solle in den FC kommen. Bei diesem Event ging es schliesslich auch darum, neue Spielerinnen und Spieler zu finden.

Ich hatte im ersten Moment aber keine Lust auf den Fussballklub, weil ich immer mit dem Velo von Horn nach Steinach hätte fahren müssen.

Der Trainer, Sandro Barile, bot mir dann aber den Deal an, mich jeweils abzuholen. Im Alfa Romeo 165 mit der Italo-Popband «883» in den Ohren fuhr er mich dann regelmässig ins Training. Das ist eine schöne Erinnerung.

Dann wäre es am Velofahren gescheitert?

Ja, eigentlich schon. Ich habe zwar immer gerne tschuttet. Aber dafür hätte ich keinen Fussballverein gebraucht. Mir reichten auch der Pausenplatz und zwei Bänkli. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich eines Tages professionell im Fussball tätig sein werde. Solche Jobs gab es in meiner Vorstellung gar nicht.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie mit Fussball Ihr Brot verdienen könnten?

Erst als ich Natispielerin war. Ich ging nach Holland, um Profifussball zu spielen, merkte aber recht schnell, dass mir das als Hauptbeschäftigung nicht ausreicht. Es war mir zu eindimensional. Wenn die Matches gut liefen, war man gut gelaunt, wenn sie schlecht liefen, war man schlecht gelaunt. Man hat sich also immer über diese Leistung definiert. Das tat mir nicht gut. Ausserdem verdiente man nur so viel, dass man gerade so davon leben konnte.

Wie sind Sie dann beim Trainerjob gelandet?

Nach meinem Studium war ich verletzt und konnte beim FC Thun nicht spielen. Da ich das Lehrerpatent abgeschlossen und Sport studiert hatte, fragte mich der FC Thun, ob ich in der Zwischenzeit die U14-Buben trainieren könne. Abgesehen von ein paar Eltern, die noch etwas Vorbehalte gegenüber einer weiblichen Trainerin hatten, ging das sehr gut. So bin ich dabei geblieben.

Viele Zufälle also …

Ja und nein. Ich hatte auch Glück, dass es immer wieder Menschen gab, die in mir Potenzial sahen, mir Chancen gaben, mich unterstützten, motivierten und mir erlaubten, auch mal Fehler zu machen. Dafür bin ich sehr dankbar.

In Israel freut sich die Nora Häuptle (38) vor allem auch auf das gute Essen.
In Israel freut sich die Nora Häuptle (38) vor allem auch auf das gute Essen. (© Claudio de Capitani)

Jogi Löw grübelt gerne in der Nase. Haben Sie auch Marotten auf der Trainerbank?

Keine Ahnung. Das müssten meine Spielerinnen wissen. Zumindest grüble ich nicht in der Nase, soweit ich weiss. Ich habe aber schon ein kleines Ritual vor jedem Match.

Wie sieht das aus?

Ich gehe duschen, frühstücke gemütlich, ziehe mich gut an – alles ganz ruhig, um mich mental aufs Spiel vorzubereiten. Aber auch um das Spiel vom Training abzuheben. Man könnte das vielleicht mit einem Sonntag vergleichen. Ich freue mich auf jedes Spiel und mit diesem Ritual bleiben sie etwas Besonderes.

Sie waren bei Ihrer letzten Stelle beim SC Sand die erste Schweizerin, die ein Bundesligateam trainierte. Nun sind Sie die erste Schweizerin, die ein Nationalteam im Ausland übernimmt. Sie sind eine Vorreiterin.

Stimmt, ich begehe teilweise Wege, die vor mir noch niemand begangen hat. Das ist einerseits schön, weil mich so noch niemand vergleichen kann. Dadurch fühle ich mich freier, etwas auszuprobieren. Andererseits sehe ich mich auch in der Verantwortung diesen «Platz» für Nachfolgerinnen gut zu hinterlassen. Ich bin schliesslich auch dankbar für jene Frauen, die mir den Weg geebnet haben.

Zur Karriere

Nora Häuptle spielte bis 2010 in der Schweizer Nationalmannschaft. Danach widmete sich die 38-Jährige dem Trainerdasein – zuerst im FC Thun, danach als Konditionstrainerin für die Berner Tennisspielerin Romina Oprandi. Seit 2015 kommentiert die Thurgauerin ausserdem Frauen-Länderspiele auf SRF. 2016 brachte Häuptle die Schweizer U19-Frauennationalmannschaft bis ins Halbfinal. Vier Jahre darauf wurde sie mit dem SC Sand die erste Schweizerin, die ein Bundesligateam trainierte. Kurz vor Ende der Saison 2020/21 wurde Häuptle aber ihrer Position entbunden. Nun warten neue Herausforderungen auf sie in Israel als Trainerin der Frauennationalmannschaft und als technische Direktorin.

(c) tagblatt.ch Aylin Erol / 04.12.2021