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Nora Häuptle über ihr erstes Jahr als Nationaltrainerin in Ghana und Weihnachten in der Heimat am Bodensee.

Nora Häuptle ist seit Januar 2023 Trainerin der Frauen-Nationalmannschaft in Ghana.

Aufgewachsen ist Nora Häuptle in Horn, mittlerweile lebt sie in Bern und Westafrika. In Ghana trainiert sie die Frauennationalmannschaft, das Team hat sich nun für den Afrika-Cup qualifiziert. Wie das möglich wurde, ob sie die Schweizer Frauen trainieren würde und wo sie Weihnachten verbringt, erzählt die 40-Jährige im Interview.

Nora Häuptle, Sie sind seit fast einem Jahr Trainerin der Frauen-Nationalmannschaft in Ghana. Fühlen Sie sich im westafrikanischen Land schon zu Hause?

Nora Häuptle: Ja, Ghana ist zum Teil meine Heimat geworden. Ich habe in der Hauptstadt Accra eine Wohnung und bin die Hälfte der Zeit in Ghana. Dort sind wir viel mit der Mannschaft unterwegs und reisen. Die andere Hälfte der Zeit lebe ich in Bern, wo ich meine Büroarbeiten erledige oder von wo aus ich scoute, also ghanaische Spielerinnen in Europa besuche.

Was gefällt Ihnen in Ghana am besten?

Die Ghanaer sind warme, herzliche Menschen, sehr emotional, direkt und authentisch. Ich nehme aus dieser Kultur viel mit, etwa die Lockerheit, das Leben im Hier und Jetzt. Dadurch setze ich mich auch mit meinen Werten und Normen auseinander, das ist spannend. Man lernt viel über sich selbst.

Hat die Kultur Ghanas Ihre Trainingsphilosophie verändert?

Ich habe versucht, von Anfang an offen zu sein. Man kann nicht einfach mit dem Handbuch kommen und es einer Mannschaft überstülpen. Wir nutzen in der Arbeit etwa viele Wörter aus der Landessprache Twi. Zum Beispiel den Ausdruck «Biako ye», der in etwa «Zusammenhalt» bedeutet. Ganz genau übersetzen lässt er sich nicht. Dieses Wort trifft viel eher, was wir sagen wollen, als unsere Begriffe.

Was war Ihr Höhepunkt im letzten Jahr?

Die Qualifikation für den Africa-Cup vor zwei Wochen. Aber ich glaube, wichtiger ist viel mehr die Reise, unsere «Mission Volta», dass sich die Leute entwickeln. Dass viele Nationalspielerinnen Freude haben, zu spielen, und Respekt dafür bekommen. Als wir nach dem Qualifikationsspiel nach Accra zurückkamen, warteten Hunderte Leute am Flughafen. Momentan reiten wir auf einer riesigen Aufmerksamkeitswelle und das ist schön zu spüren. Wir stecken viel Energie rein und es ist toll, dass das Ganze eine so positive Entwicklung nimmt.

Woher kommt die grosse Aufmerksamkeit für das Frauen-Nationalteam in Ghana?

Auf der ganzen Welt hat der Frauensport momentan zurecht grossen Aufwind. In Ghana waren die Black Queens bereits vor dem Herrenteam erfolgreich und haben sich für mehrere Weltmeisterschaften qualifiziert. In den letzten zehn Jahren flachte das etwas ab, aber jetzt ist die Unterstützung wieder grösser. Die Medien machen ausserdem einen riesigen Hype. Das hilft uns, Argumente für die Finanzierung zu finden. In Ghana finanziert das Sportministerium die Nationalteams.

Die Black Queens sind auf Erfolgskurs. Wie erklären Sie sich das?

Als mich der Verbandspräsident für den Trainerjob anfragte, machte ich eine vertiefte Systemanalyse. Ich wollte prüfen, ob es ein Projekt ist, das ich zum Erfolg bringen kann. Vor der Vertragsunterzeichnung habe ich meine Bedingungen gestellt und dem Verband klar vor Augen gehalten, was es braucht, damit Erfolge realistisch werden. Etwa, dass ich das Aufgebot frei zusammenstellen kann und dass wir unsere Spielerinnen, die in Europa unter Vertrag stehen, einladen können. Das war sicher die Basis für den Erfolg.

Gibt es noch andere Faktoren?

Auch die Spielerinnen glauben, dass es vorwärts geht. Dafür braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Manchmal fällt ein Stromgenerator aus oder es fehlt eine Klimaanlage im Schlafzimmer. Im Austausch mit den Spielerinnen haben wir festgelegt, was wir brauchen. Natürlich geht nicht immer alles, aber wenn du jedes Mal einen Schritt vorwärts machst, kommst du in der Summe wahnsinnig weit. Es geht darum, immer wieder aufzuzeigen, was anders und besser werden muss. Nur zu kritisieren, ist einfach, aber es braucht Lösungen. Die Spielerinnen haben Spass, die Dynamik stimmt. Wir haben einen guten Spirit.

Was sind nun die nächsten Schritte?

Wir haben uns für den Afrika-Cup qualifiziert, der voraussichtlich im Juni in Marokko stattfindet. Auf dieses Turnier müssen wir uns vorbereiten. Im Februar und im April haben wir die dritte und vierte Runde der Qualifikation für die Olympischen Spiele. Wir spielen in der dritten Runde gegen Sambia, ein starker Gegner. Dafür brauchen wir einen taktisch cleveren Schlachtplan.

Der Erfolg der Mannschaft spricht für Sie als Trainerin. Haben Sie schon Jobangebote von anderen Fussballteams erhalten?

Nach der Weltmeisterschaft in Costa Rica, wo ich mit dem ghanaischen U20-Team war, habe ich zwei, drei interessante Angebote erhalten, darunter auch von einem Nationalteam, das zu den erfolgreichsten fünf der Welt gehört. Aber wenn man Ja sagt zu etwas, muss man das auch durchziehen und die Werte vorleben. Darum konzentriere ich mich auf meine Arbeit in Ghana, mein Vertrag läuft noch ein Jahr. Ich habe von der Verbandsführung in Ghana grosses Vertrauen bekommen. Ich bin die erste ausländische Frauen-Natitrainerin und natürlich gibt es deswegen auch kritische Stimmen. Ich werde aber sehr ernst genommen, es ist ein grosser Wille da, erfolgreich zu werden. Diese Mission, 2024 an den Olympischen Spielen in Paris zu spielen, ist noch nicht abgeschlossen. Wir wären das erste Team aus Ghana, das daran teilnimmt, und könnten in die Geschichtsbücher eingehen.

Der Trainerposten der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft ist noch unbesetzt. Würde Sie das reizen?

Wie gesagt bin ich momentan sehr zufrieden. Der Afrika-Cup ist vergleichbar mit der Europameisterschaft. Das und die Olympischen Spiele sind zwei Turniere, die man nicht jeden Tag erleben kann.x

Während des Jahres sind Sie viel unterwegs. Wo verbringen Sie die Weihnachtstage?

An Weihnachten bin ich immer daheim bei meiner Familie am Bodensee in Horn. Das ist für mich sonnenklar. Zwischendurch verpasse ich manche Familienanlässe, aber an Weihnachten habe ich es bisher immer heimgeschafft.

(C) 22.12.2023 / ST.GALLER TAGBLATT / J. Schönenberger