“ICH TRAUE MIR ZU, EIN MÄNNERTEAM ZU TRAINIEREN”
Nora Häuptle (37) ist seit Sommer 2020 Trainerin des SC Sand. Die Schweizerin ist der einzige weibliche Coach in der Frauenfußball-Bundesliga. Die anderen elf Erstligaklubs werden von Männern trainiert. Ein Gespräch über Hemmungen, Empathie und Empowerment.
Woran liegt es, dass Sie in der Frauenfußball-Bundesliga als einziger weiblicher Coach tätig sind? Wo sind die anderen Trainerinnen?
Häuptle: Das ist schwer zu sagen. Für den Trainerberuf muss man eine Fußballlehrer-Ausbildung bzw. die UEFA-Pro-Trainerlizenz machen. In der Schweiz, wo ich herkomme, haben wir nur zwei Frauen mit dieser Ausbildung. Diese Trainerschleuse mit fußballerischen und theoretischen Tests scheint für viele Frauen schwierig zu sein.
Offensichtlich haben viele Hemmungen, die Trainerkurse zu belegen.Nora Häuptle, Trainerin SC Sand
Viele meiner ehemaligen Mitspielerinnen wollten nach ihrem Karriereende eine Familie gründen und Abstand zum Fußball bekommen.
Es klingt jetzt vielleicht sehr nach Schublade, aber sind Frauen defensiver und zurückhaltender, wenn es um die Besetzung einer Führungsposition geht?
Ich erlebe die Frauen, mit denen ich arbeite, als sehr reflektiert und selbstkritisch. Sie überlegen oft, ob sie für den nächsten Schritt bereit sind. Vielleicht agieren Männer eher nach dem Motto “Hauptsache, ich bin da”. Es ist ja auch ein Kraftakt, als Trainer zu arbeiten. Es geht nicht nur um die Organisation des Trainings. Ich bin auch Managerin, leite einen Staff und bin für 40 Personen verantwortlich. Es ist eine sehr komplexe Aufgabe. Man muss sich viel mit den Menschen befassen. Da stellt sich die Frage: Wie sehr lasse ich deren Geschichten an mich heran? Wann muss ich die nötige Distanz haben? Frauen sind in dieser Hinsicht vielleicht feinfühliger und lassen solche Dinge näher an sich heran. Ich muss als Führungskraft aber auch Entscheidungen treffen und akzeptieren, dass mich nicht alle mögen. Vielleicht fühlen sich manche Frauen tatsächlich in einer Nebenrolle wohler.
Sie haben als Spielerin in der Schweiz (FC St. Gallen, BSC Young Boys Bern, FFC Zuchwil 05, FC Thun) und in den Niederlanden (FC Twente Enschede) gespielt – unter Trainerinnen, aber meist unter männlichen Trainern. Welche Unterschiede haben Sie da festgestellt?
Ich möchte die Eigenschaften nicht plakativ an Geschlechtern aufhängen. Ich habe viele verschiedene Charaktere kennengelernt. Ich denke, heute geht es nicht mehr darum, ob du eine Frau oder ein Mann bist. Das Geschäft erfordert einfach viel Empathie. Es geht um Menschenführung. Ich erlebe Männer, die empathisch sind, aber auch Frauen, die wenig mitfühlend sind. Der Führungsstil hat sich in den letzten Jahren ohnehin geändert. So, wie wir als Spielerinnen früher relativ autoritär geführt wurden, das gibt es heute gar nicht mehr.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil als Trainerin beschreiben?
Der Dialog ist für mich das Wichtigste. Dieses Element verbindet uns alle, nicht nur beim Fußball. Dazu ist für mich Empowerment eine wichtige Säule. Das bedeutet, dass ich versuche, dass sich mein Umfeld mit all seinen Fähigkeiten entfalten kann. Außerdem geht es mir um ein gewisses Mindset. Ich erwarte eine Entwicklungsbereitschaft bei den anderen, aber auch von mir selbst. Je stärker mein Umfeld und mein Staff ist, desto besser geht es mir als Führungsperson damit. Meine Aufgabe ist es, die Stärken und Talente der anderen Leute zur Entfaltung zu bringen.
Könnten Sie sich vorstellen, einmal eine Profi-Männermannschaft zu trainieren?
Ich würde mir das absolut zutrauen. Letztlich geht es immer um dieselben Dinge.
Am Ende arbeitet man doch immer mit Menschen zusammen, egal, ob ich Frauen oder Männer trainiere.Nora Häuptle, Trainerin SC Sand
Du brauchst als weiblicher und als männlicher Trainer ein Umfeld, das dich stützt und hinter dir steht. Ich wüsste nicht, warum es – unter diesen Voraussetzungen – für mich nicht funktionieren sollte, ein Männerteam zu coachen.
© www.swr.de (js) / 08.03.2021